„Ich spüre die Angst meiner Großmutter bis heute in mir“

Generationen-Transfer

Epigenetik

 

Warum ekel ich mich vor einem bestimmten Geruch – genau wie mein Großvater ?
Warum muss ich weinen wenn ich Bilder aus KZs sehe obwohl ich dort selbst nicht war?
Kann es sein, dass die Einsamkeit meiner Mutter als Kind auch heute noch in mir nachwirkt?

Ist es möglich, dass Erfahrungen und Gefühle vererbt werden?

Die Forschung sagt Ja! Die „Epigenetik“ (von griechisch: epi = auf, dazu, nach + genesis = Entstehung) ist ein Teilgebiet der Molekularbiologie, das sich mit der Vererbung von seelischen Erfahrungen beschäftigt.
Eine durch biografische Erfahrungen veränderte Genregulation führt auch bei den Nachkommen zu veränderten Eigenschaften. Die Erbsubstanz der Kinder und Enkel enthält also auch Informationen über die Lebensbedingungen der Eltern und Großeltern. Man spricht von Generationentransfer oder auch von vererbtem Trauma, das zu unsicheren Bindungen führen kann oder auch zu unterschiedlicher Resilienz, das bedeutet, wie gut man Streß aushalten kann.

Speicher für Erbinformationen
Traumafolgen werden also an die nächste Generation weitergegeben. Wie geschieht das?
  • Zunächst eine kleine Einführung in die Molekularbiologie: Jeder Zellkern (rosa) enthält in der DNA Gene, die das Wachstum, die Teilung und die Differenzierung der Zelle durch die Produktion von Proteinen steuern. Doch damit die gespeicherten Informationen umgesetzt werden, müssen die entsprechenden Anweisungen aus dem Zellkern an den „aktiven“ Teil der Zelle, an das Zytoplasma (blau) nach „draußen“ weitergegeben werden. Diese Aufgabe übernimmt die Boten-RNA, auch mRNA (= messenger RNA) genannt, eine Kopie bzw mobile Blaupause eines Teilabschnitts der DNA.
  • Metapher: Man muss sich die DNA wie ein Kochbuch vorstellen, das Rezepte = die Gene für die Produktion neuer Proteine enthält. Für jede Aufgabe im Leben gibt es ein eigenes Rezept. Eine Hautzelle braucht das Rezept, um wie eine Hautzelle zu funktionieren und eine Magenzelle das Rezept, um wie eine Magenzelle zu funktionieren. Das große Kochbuch steht aber in einer Präsenzbibliothek und darf nicht ausgeliehen werden. Um trotzdem an das Rezept zu kommen, muss eine Kopie der Information erstellt werden: die Boten-RNA.
  • Lange Zeit rätselten die Forscher wie eine Haut- und eine Magenzelle unterschiedliche Funktionen ausüben können, obwohl sie dieselbe DNA-Sequenz enthalten. Hier kommt die Substanz ins Spiel, um die es bei der Epigenetik geht: die microRNA, abgekürzt miRNA oder miR. 1993 wurden sie erstmals beschrieben, der Name microRNA wurde jedoch erst 2001 geprägt.
  • miRNA sind winzige Moleküle, „Erbgutschnipsel“ und befinden sich im Zytoplasma als auch in Körperflüssigkeiten wie Blutserum, Urin und in den Keimzellen, also in der weiblichen Eizelle und in den männlichen Spermien. Sie heften sich an mRNA-Sequenzen, um nicht benötigte Genabschnitte auszuschalten (= Gen-Silencing) – wie ein Lichtschalter – und dafür zu sorgen, dass nur die Gene zum Ausdruck kommen, die für die spezifische Zellfunktion gebraucht werden. Die miRNA löschen also in einer Hautzelle alle Informationen über die Herstellung von Magensaft bzw. in einer Magenzelle alle Informationen über die Herstellung von Melanin (= Pigmentfarbstoff der Haut).
  • Andauernder Streß kann jedoch zu einem Ungleichgewicht dieser miRNA führen. So als ob ein Lichtschalter ständig an und aus geschaltet würde oder das Licht zuviel oder zu wenig leuchtet.
  • Dr. Isabelle Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik an der Universität Zürich folgert: „Mit dem Ungleichgewicht der micro-RNAs in Keimzellen haben die Forscher einen Informationsträger entdeckt, über den Traumata (gr. = Wunde, seelische Verletzung) vererbt werden könnten. Verteilung und Menge dieser micro-RNAs sind dann anormal – von einigen existierten zu viele, von anderen zu wenig. Dadurch laufen Zellprozesse, die durch diese micro-RNAs gesteuert werden, aus dem
 Ruder.“
  • Abnormes microRNA-Muster und eine Fehlfunktion unseres Nervensystems gehen Hand in Hand. Stoffwechselstörungen im Gehirn können zu Gedächtnisstörungen, Demenz, herabgesetzter Streßbewältigung (Resilienz), schwachem Immunsystem oder – zusätzlich zu weiteren Faktoren, die bei einer Erkrankung immer auch eine Rolle spielen – unter anderem zu Depressionen, Diabetes, Magersucht, Leber- und Nierenerkrankungen, Schizophrenie und vielem mehr führen.
  • Es seien jedoch noch einige Fragen offen, zum Beispiel wie genau es zu dem Ungleichgewicht
 der kurzen RNAs kommt. Sehr wahrscheinlich sind sie Teil einer Wirkkette, die damit beginnt, dass der Körper zu viele Stresshormone produziert. Der gleiche Mechanismus könnte aber auch der Vererbung anderer erworbener Eigenschaften zugrunde liegen, vermutet die Forscherin.

 

Epigenetik

 

Die Umwelt hinterlässt jedenfalls ihre Spuren 
im Gehirn, den Organen und auch in Keimzellen, also bei der Frau in den Eizellen, beim Mann in den Spermien. So werden diese Spuren teilweise an die nächste Generation weitergegeben.

Aber gerade die Genregulation bietet auch den positiven Ausblick, dass WIR mit unserem Denken, Handeln und unserer Lebensweise diese Ein-, Ausschalter beeinflussen können! Die Forschung zeigt jedenfalls: Um ein Trauma zu überwinden, muss man sich der Vergangenheit stellen! Dr. Isabelle Mansuy ist fest davon überzeugt:

„Traumata sorgen zwar sowohl für Narben in der Seele als auch für Narben im Erbgut … aber wenn negative Faktoren einen aus der Bahn werfen können, dann helfen positive Faktoren bei der Überwindung eines Traumas!“

Jeder Mensch trägt diese positiven Faktoren in sich.

 

Gernerationen Erbe

Ich wünsche Ihnen viele spannende Erkenntnisse bei einer Reise in die eigene Familiengeschichte!

Ihre Barbara Elisabeth Meisner

Stand 2017
(Quelle: Geist&Gehirn 2014_Spektrum der Wissenschaft / Dr. Isabelle Mansuy, Professur für Neuroepigenetik an der ETH Zürich in DIE ZEIT Nº 22/2014  27. Mai 2014)